Montag, 20. April 2015

Oh Boy

"Wir haben auch Sojamilch." - "BITTE NICHT!"


Jan Ole Gerster, 2012 GER - 7.25/10

Im Englischem gibt es den Begriff des "Slackers" (von "slack": lustlos, schlaff), der Personen beschreibt, die durch ihre laxe Haltung im Arbeitsleben, und dem alltäglichen Leben im Allgemeinen, auffallen. Sie machen so gut wie nichts, leben in den Tag hinein und haben keinen richtigen Antrieb, ihre Situation zu ändern. Solch eine Person ist die Hauptfigur in Jan Ole Gersters Erfolgsfilm - unter anderem sechs Deutsche Filmpreise - "Oh Boy" (der im Englischem den sehr schönen Titel "A Coffee in Berlin" besitzt)

Niko Fischer (Tom Schilling) ist ein junger Berliner, Ende zwanzig, dem zu Beginn des Films das Geld ausgeht. Es ist aber nicht nur das, sondern auch sein latenter Alkoholkonsum, oder auch das gestörte Verhältnis zu seinem Vater (sensationell schmierig: Ulrich Noethen), was das Leben für Niko nicht gerade einfach macht. Dass er auch den ganzen Film über einen Kaffee haben will, macht die Sache nicht einfacher. Durch Zufall trifft er seine ehemalige Klassenkameradin Julika (Friederike Kempter, "Nadeshda" aus dem "Münster-Tatort"), deren Theaterstück er am Abend mit seinem Kumpel Matze (Marc Hosemann) besuchen will.

So stolpert Niko von einer misslichen Situation in die nächste. der Film lebt von diesen teilweisen absurden, teilweise zum brüllen komischen, aber auch zum Großteil sonderbaren Episoden. Dass Gersters Berliner Film nur 83 Minuten lang ist, sehe ich als sehr positiv. Zwar werden einige Figuren (wie "Matze" zum Beispiel) nur schemenhaft dargestellt, was der Komik aber nicht schadet, die sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film zieht. Schilling macht seine Sache hervorragend, ihm nimmt man die Lustlosigkeit des modernen, verwöhnten Berliners voll ab. Friederike Kempter macht sehr viel aus ihrer winzigen Rolle; sie verleiht dieser Julika sehr viel Charakter und in einer sensationellen Konfrontation mit ein paar idiotischen Jungs (mit dabei: Frederick Lau), spielt sie ihre ganze schauspielerische Kraft aus. Schauspielveteran Michael Gwisdek ist in einer kurzen Rolle als Mann in einer Kneipe zu sehen, bei der er seinen Text mit viel Gefühl runterrattert. Wieso er dafür einen Filmpreis gewonnen hat, verstehe ich jetzt nicht, aber gut, wenn man die Chance hat, einen beliebten Oldie auszuzeichnen, dann macht es die deutsche Filmakademie genauso wie ihr amerikanische Pendant (siehe zb. Robert Duvall dieses Jahr für "The Judge" bei der Oscarverleihung).

Gerster hat interessante Schauplätze gewählt, fernab des Berliner Mainstreams. Brandenburger Tor, oder die Siegessäule sucht man lange, aber dadurch ist der Film weitaus vielfältiger, ja vielleicht sogar exotischer geworden, als man es sich vorher gedacht haben mag, wenn man das Wort "Berlin" im begleitenden Text gelesen hat. Der Stil des Films ist erfrischend, ein Schauplatz wird nie länger als vielleicht zehn Minuten besucht, es geht direkt immer weiter. Durch die vielen unterschiedlichen Episoden entsteht zwar nie Langeweile, aber - und dies ist mein größter Kritikpunkt - wirkt der Film so dermaßen beliebig, dass es mir schwer fällt, diese Kritik zu verfassen, das meiste habe ich bereits wieder vergessen.

Ich verstehe voll und ganz, weshalb dieser Film so gut bei den Kritikern ankam: Ein neues, bislang unbekanntes Bild von Berlin und dessen Bewohnern wird gezeigt, ein Ausschnitt aus deren unbestimmtem Leben, das sich nicht entscheiden kann, in welche Richtung es sich entwickelt und dabei noch beigemischt eine große Prise der Absurdität des Alltags. Alles schön und gut, ich wurde auch größtenteils unterhalten. Doch als der Abspann lief, da habe ich keinerlei Sympathie mit irgendeiner Figur aufbauen können, zu beliebig erschienen sie mir, als dass ich viel Energie in sie hätte investieren können.

Wer einen unterhaltsamen Film aus dem modernen Berlin sehen möchte, der von dessen leisem, teilweise absurden Humor lebt - die Szene in der Kaffeebar ist Gold wert - der ist hier richtig. Nur ein Meisterwerk kann man hier lange suchen.

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